ana.words, scharfsinnig und dumm
Der Ausdruck Oxymoron (von griech. "oxys" = "scharf, spitz,
scharfsinnig" und "moros" = "einfältig, dumm") bedeutet so
viel wie "klugdumm" und bezeichnet Wendungen, die logisch
betrachtet zunächst einmal widersprüchlich sind, bei näherer
Betrachtung und in bestimmten Zusammenhängen aber durchaus
einen (Hinter)sinn offenbaren. Einige Oxymora zählen zu den
verbreitetsten Standards unserer Alltagsrhetorik: Weniger
ist mehr. Das Schweigen der Lämmer sagte alles. Das Aas
quittierte mit einem bittersüßen Lächeln. Nur die
Konvertiten vernahmen deutlich Gregors lautlosen Schrei.
Eile mit Weile!
Solche Standards verkommen allerdings leicht zu bloßen
Worthülsen. Neu und angemessen gebildet kann ein Oxymoron
dagegen eine verstörende rhetorische Kraft entwickeln. Zwei
beeindruckende Beispiele dafür finden sich in den ersten
Zeilen der "Todesfuge" von Paul Celan: "Schwarze Milch der
Frühe wir trinken sie abends // wir trinken sie mittags und
morgens wir trinken sie nachts // wir trinken und trinken //
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
// [...]".
Paul Celan - Todesfuge
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
(eines der gedichte nach auschwitz
nach dem gedichte barbarisch seien)
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