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Tuesday, December 11, 2007

ana.words, in beispielloser fadenscheinigkeit beeindrucken

ich ging durch die verandatür nach drinnen. in der küche

baute frau angelescu aus brandteiggebäck und frischem

schlagrahm schwäne. ich bat sie um papier und farben,

"danke", und zog mich mit allem nötigen ins wohnzimmer

zurück, wo es am ruhigsten war. dort, zwischen zahlreichen

gerahmten fotos von ringersgrössen, an einem tisch, in

dessen mitte eine kristallschale mit gesammelten

zuckerbriefen stand, gewann in kürzester zeit ein zweifach

abgebildeter mann gestalt, der zu ehren der tochter der

angelescus mit blosser körperkraft eine eisenstange bog und

ein pferd stemmte.

"das bin ich!" sagte ich stolz, als die tochter der

angelescus hinter mich trat. die zeichnung war praktisch

fertig, sie schimmerte in kräftigen tönen, weil ich die

stifte zwischendurch immer wieder abgeleckt hatte, damit das

papier die farben besser annahm. das mädchen blickte über

meine schulter. ich reichte ihr das blatt, glücklich

darüber, glänzen zu können, merkte aber gleich, dass die

tochter der angelescus nichts rechtes damit anzufangen

wusste. ohne danke zu sagen, behauptete sie, dass ich fürs

pferdestemmen zu klein sei. ich widersprach ihr: "bin ich

nicht."

sie beharrte darauf: "bist du doch."

"und warum?"

"weil ich es sage."

diese argumentation beeindruckte mich nur in ihrer

beispiellosen fadenscheinigkeit (ausdruck des

untersuchungsbeamten), also sagte ich, sie ehaupte das nur

aus eigener schwäche oder phantasielosigkeit.

antwort: "du bist ein lügner, ein ganz ganz grosser dreckiger lügner!"

ich schwieg eine zeitlang. ausgerechnet die jüngste tochter

der angelescus, dachte ich. wenn ein kräftiger wind ging,

steckte ihr die mutter steine in den schulranzen, und erst

wenige tage zuvor hatte ich sie in der telefonzelle gesehen,

wie sie die telefonbücher am bodengestapelt hatte, um zu den

münzschlitzen hochzureichen. [...] machte eine reihe

einwände zu meinen hunsten. unter anderem behauptete ich,

dass die welt fürchterlich relativ und ungefähr sein

(ausdruck direktor backmark). die tochter der angelescus

lachte, unfähig, meine gedanken nachzuempfinden. sie lachte

so heftig, dass ich angst bekam, die drähte und gummis in

ihrem mund könnten sirrend und schnalzend reissen. sie

fasste sich wieder, betrachtete mich neuerlich mit

vollkommen nüchterner sachlichkeit, schob ihren unterkiefer

nach vorn und nickte mit rechtsgeneigtem kopf, sie behielt

mich scharf im auge. ich stemmte die fäuste in die seiten.

aber da sagte sie schon, ich solle mit dem linken arm über

den scheitel an mein rechtes ohr langen; dies, wie sich

hinterher zeigte, um festzustellen, ob ich in meiner

entwicklung ausreichend fortgeschritten sei, um eisenstangen

zu biegen und pferde zu stemmen. ich sage es gleich: das

ergebnis fiel enttäuschend aus. die jacke, die mir frau

doktor bianchi geschenkt hatte, sass so eng, dass es

unmöglich war, den arm weit genug zu heben, dass ich mein

ohr erreichte. [...]

also schlich ich, leise weinend und auf zehenspitzen, damit

es niemand merkte, durch die vordere tür hinaus auf die

strasse und trottete zurück zum grossen tor. wie stehe ich

nun da, dachte ich, wie stehe ich nur da. mir war ganz elend

ums herz. ich hörte förmlich, wie die ganze welt inter

meinem rücken witze riss und lachsalven in alle winkel

pfefferte. das gelächter erklang so laut, dass ich nahe

daran war, mir die ohren zuzuhalten. aber da rief mich von

hinten frau angelescu an, ich solle auf sie warten. sie

holte mich auf ihrem fahrrad ein, mehrmals klingelnd, ganz

ausser atem. ihre augen leuchteten von der anstrengung, und

als sie vom fahrrad stieg, liess sie es einfach umfallen, so

dass es krachend auf den asphalt fiel. "wenn mir ein mann so

ein schönes geschenk machen würde würde ich ich nicht nur

sehr freuen, sondern ihn gleich heiraten", sagte sie.

verwirrt und irritiert von den sich überstürzenden

ereignissen sagte ich: "aber sie können mich doch gar nicht

heiraten, frau angelescu. sie sind doch schon verheiratet!"

und noch immer ganz benommen von der kränkung, die ich

erfahren hatte, die augen von tränensalz umrandet,

schüttelte ich fassungslos den kopf und setzte meinen weg

zum grossen tor fort.

arno geiger,

schöne freunde.

münchen 2006.

isbn 978-3-423-13504-7

submitted by dietrichstein


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