ana.words no blog

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Tuesday, June 30, 2020

ana.words, bloss nicht auffallen

tbz sah gestern diese petition
( https://act.campax.org/petitions/maskenpflicht-im-ov-jetzt-1 )
die ein maskenobligatorium im öv fordert
und ist ueber was gestolpert
und zwar stand da
sozusagen beim argumentarium:

"Viele Menschen würden gerne eine Maske im öV tragen, trauen sich aber nicht."

und das laesst tbz nun so bisschen im kopf hin- und herwandern
und findet's bitzli schraeg.
ist das wirklich so ein issue?
ich wuerde ja mega gerne, aber ich traue mich nicht
OBWOHL es empfohlen wird
OBWOHL es auch andere gibt?

eigentlich waere ich ganz anders
aber ich komme so selten dazu?

die meinung der anderen ist mir wichtiger
als...

ist das ein schweizerisches ding?
also so dermassen nicht auffallen zu wollen
oder so?
blicken wir hier grad tief in die schweizerseele?

gab's da eine umfrage dazu
wo man merkte
ja, ist so,
total viele leute wuerden mega gerne ne maske tragen im öv
aber sie trauen sich nicht
wenn nicht mindestens 70% sonst es auch tun?
so multiple choice vielleicht
wie viele leute rundum muessten eine maske tragen
damit sie sich trauen?

stolpert ihr auch ueber diesen satz
oder findet ihr das nicht komisch?

[ ] ja
[ ] nein
[ ] sex
[ ] ...



bild: http://ana.ch/words/bilder/nichttrauen.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6720



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Monday, June 29, 2020

ana.words, sozialisiert regieren

tbz trauert.
um robbie williams.
und um schweden.
beide nicht gestorben,
but somehow we lost them.
2020 ist ein schweres jahr fuers fantum.

und weil tbz noch ne ganze weile trauern muss
(aber irgendwie doch viel robbie hoeren und schwedisch)
ist sie froh um einsendungen von euch.

anbei etwas eingesandtes von mahal
wozu tbz gerne was kommentieren moechte
aber vielleicht ein anderes mal
mit weniger blutendem herzen.
(dramaqueen? nene, ach was...)


Gelesen in der WOZ → Frauen an der Macht: Mit Sachlichkeit und Mitgefühl
https://www.woz.ch/-1RPVZWS



FRAUEN AN DER MACHT

Mit Sachlichkeit und Mitgefühl

Was nützt am besten zur Eindämmung des Coronavirus? Darüber gehen die
Meinungen auseinander. Was auf alle Fälle nicht schadet: Frauen an der
Regierungsspitze.

Von Cigdem Akyol

Die Situation sei immer noch unter Kontrolle, tönte vor wenigen Tagen
US-Präsident Donald Trump trotz Coronafällen im Weissen Haus. Sein
brasilianischer Amtskollege Jair Bolsonaro beschwichtigte mehrfach, die
Pandemie sei ein «Grippchen», und Russlands Machthaber Wladimir Putin
glaubt wieder einmal, ausländische Agitation am Werk zu sehen:
Falschmeldungen zur Pandemie in Russland würden Panik säen (vgl.
https://www.woz.ch/2021/russland/der-autoritaere-staat-denkt-nur-an-sich).

Die Ausreden der lautstarken Männer lassen etwas anderes vermuten:
Regierungen mit Frauen an der Macht kommen deutlich besser durch die
Krise. Von Dänemark bis Norwegen, von Finnland bis Island, von Taiwan
bis Neuseeland: weibliche SpitzenpolitikerInnen haben «ihre» Länder
souverän durch die erste Welle gesteuert. Spätestens mit dem Blick nach
Deutschland mit seinen 83 Millionen EinwohnerInnen wird klar, dass diese
Vermutung nicht nur für Kleinstaaten gilt. Unabhängig von der Grösse des
Landes gibt es durchaus Faktoren, die sich vergleichen lassen. Dazu
zählen die Reaktionsgeschwindigkeit, eine Strategie der
Risikominimierung, empathische Kommunikation – und Pragmatismus.

Entschieden gehandelt

Beispiel Taiwan: Das Land liegt auf der Luftlinie nur 940 Kilometer vom
chinesischen Wuhan entfernt, wo die Pandemie ihren Ursprung hatte. Dass
der Inselstaat vom Virus heftig getroffen werden würde, schien deshalb
naheliegend, doch es kam anders: Noch während Peking öffentlich
bestritt, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird, reagierte
Taipeh. Die chinakritische Präsidentin Tsai Ing-wen liess die Grenzen
zum Festland schliessen, ein Trackingsystem wurde eingeführt, die
Produktion von Schutzausrüstung erhöht. Obwohl keine Ausgangssperren
ausgerufen wurden, gab es bisher laut der Johns Hopkins University nur
sieben Todesfälle in der Republik, und das bei rund 24 Millionen
EinwohnerInnen.

Radikal und schnell handelte auch Neuseelands Premierministerin Jacinda
Ardern. Sie vollzog einen scharfen Lockdown, als erst wenige Dutzend
Infektionen auf der Insel nachgewiesen waren. Alle, die nach Neuseeland
zurückreisten, mussten in Quarantäne. Ihre isländische Amtskollegin
Katrin Jakobsdottir wiederum ermöglichte, dass im Inselstaat mit seinen
360 000 EinwohnerInnen grossflächig getestet wurde. Viele andere Länder
führten Tests nur bei Risikogruppen und Menschen mit Symptomen durch.
Auch in Island wurde ein Rückverfolgungssystem eingeführt. In beiden
Ländern sind die Sterberaten vergleichsweise gering – in Neuseeland mit
seinen rund 5 Millionen EinwohnerInnen erlagen bisher 21 Personen und
auf Island 10 der Lungenkrankheit.

Nun wird bereits über eine fünfte Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel
diskutiert.

Haben diese erfolgreichen Strategien tatsächlich damit zu tun, dass
Frauen die Politik bestimmen? Eine durchaus gewagte These, meint Jasmin
Siri, Soziologin an der Universität München, die zu Gender und Politik
forscht. Eine Regierungschefin an der Spitze sei schliesslich nur einer
von vielen Faktoren, wie eine Pandemie oder überhaupt eine Krise
bearbeitet werde. Generell lasse sich ein unterschiedlicher Führungsstil
zwischen Männern und Frauen wissenschaftlich nicht nachweisen. Was sich
aber auf jeden Fall zeige: «Rechtspopulistische Politikangebote, wie sie
von Trump und anderen Männern, manchmal aber auch von Frauen angeboten
werden, stossen an ihre Grenzen, sobald es um Realpolitik wie die
Bewältigung einer Pandemie geht.»

Tatsächlich fällt auf, dass die Verbreitung von Fake News und Populismus
bei den erwähnten Spitzenpolitikerinnen nicht vorkommen. Sie reagierten
ernsthaft und sachlich wie etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel. Ihre ruhige Erklärung der Infektionsrate verbreitete sich viral
– nun wird bereits über eine fünfte Amtszeit der Kanzlerin diskutiert,
die politisch doch längst abgeschrieben war. In ihrer Fernsehansprache
im März betonte die in der DDR aufgewachsene Merkel auch, dass «für
jemanden wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer
erkämpftes Recht waren», Einschränkungen der Grundrechte nur in
absoluten Ausnahmefällen zu rechtfertigen seien.

Pressekonferenzen für Kinder

Wenn sie emotional wurden, dann setzten die Frauen auf Mitgefühl:
Norwegens Regierungschefin Erna Solberg wie auch die dänische
Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hielten Onlinepressekonferenzen
für Kinder ab. Solberg beruhigte die Kleinsten, dass es in Ordnung sei,
ängstlich zu sein. Sanna Marin, Premierministerin Finnlands, wandte sich
mit der Bitte an Online-Influencer, Fakten unter ihren FollowerInnen zu
verbreiten – um so auch Falschmeldungen vorzubeugen.

Ob die Welt nach Corona weiblicher werden wird, fragte die «Frankfurter
Rundschau» kürzlich den britischen Historiker Timothy Garton Ash. «Ja!»,
antwortete Ash, der zur europäischen Gegenwartsgeschichte forscht,
bestimmt. «Die politischen Führungen, die in dieser Krise am besten
gefahren sind, waren fast allesamt Frauen. In Deutschland, in
Neuseeland, in Norwegen, in Finnland, in Taiwan. Es ist gewissermassen
die Stunde der Frauen in Führung.» Bleibt nur zu hoffen, dass dies auch
noch ein paar Männer mehr merken.


http://ana.ch/words/archive/?id=6719



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Friday, June 26, 2020

ana.words, something in the air

morgen, jeweils am 27.6., sei anscheinend weltdufttag
(woraufhin gestern grad die ana.words verdufteten)
und tbz moechte dazu anmerken:
die gesichtsmasken stinken.

oooooooder
dann riecht man einfach non-stop den eigenen mundgeruch.
oder den ausgeatmeten odem eines offenbar innerlich verwesenden menschen.
aber nein, quatsch, die masken stinken.
so bisschen.
nicht soooo schlimm, aber bisschen doch.


riecht ihr das auch?
oder riecht ihr einfach nicht gut?
(und warum kann der letzte satz nun zwei sachen heissen
naemlich riechen im sinne von den duft wahrnehmen, der sinneswahrnehmung,
und
riechen im sinne von duften, duft ausstroemen, stinken??)
oder tragt ihr keine masken?
(anmerkung fuer die auslaendischen lesers:
in der ch gibt es keine maskentragpflicht
beim einkaufen oder im oeffentlichen verkehr oder so
es wird empfohlen von den verkehrsbetrieben
was momentane maskenzahlen von
0 bis 5% in trams und bussen
und
6 bis 20% in zuegen ergibt,
so irgendwo gelesen gestern).


und von wegen duft:
tbz hat folgendes aufgeschnappt
nicht faktengecheckt
aber das koennt ihr ja nun am wochenende machen
und ein schoenes ebensolches sei euch gewuenscht!


Hast du gewusst, dass…

… sich zwischen 10 – 30 Millionen Riechsinnenzellen in unserer
Riechschleimhaut befinden?
… Hunde rund 250 Millionen und Aale fast eine Milliarde
Riechsinnenzellen besitzen?
… wir einen Duftstoff unter mehr als 10 000 Milliarden anderen
Stimulanzien wahrnehmen?
… der Geruchsinn der einzige Sinn ist, denn wir nicht abstellen können?
… wir mit jedem Atemzug ständig riechen – bis zu zwanzigtausendmal am
Tag?
… das Riechrezeptoren im Magen-Darmtrakt und unter der Haut vorkommen?
… der Trigeminusnerv (Gesichtsnerv) über die Bindehaut des Auges Gerüche
leitet?
… der Geschmacksinn direkt mit dem Geruchsinn verbunden ist?
… die Dufterinnerung ganz eng mit der Bilderinnerung zusammen liegt?
… unser Geruchsinn "überlebenswichtige" Unterscheidungen zwischen Gefahr
und Sicherheit vornimmt?
… Düfte direkten Einfluss auf unsere Gefühle und über das vegetative
Nervensystem auch auf viele Körperfunktionen, auf das Hormon- und
Immunsystem nehmen?
… die Aufnahme von Gerüchen größtenteils unbewusst vor sich geht?
… wir nach einer Weile, wenn wir mit einem Geruch in Kontakt kommen, für
ihn "blind" werden und ihn nur mehr unbewusst wahrnehmen?
… die Anosmie, der völlige Verlust des Geruchssinns stets mit schweren
Depressionen verbunden sein kann? Zusammen mit dem Geruchssinn geht auch
der Geschmackssinn verloren und so wird die Welt düster und farblos für
den Betroffenen.
… der Geruchssinn etwas ganz Individuelles ist und jeder Mensch andere
Assoziationen hat?
… wir sexuelle Signale mittels Geruchsstoffen, den sogenannten
Pheromonen, die von speziellen Drüsen produziert werden, aussenden?


http://ana.ch/words/archive/?id=6718



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Wednesday, June 24, 2020

ana.words, privilegiert as fuck

seit ein test ergab
dass tbz zu 63% slut ist
(und/oder mahal)
was tbz ein sehr ueberzeugendes ergebnis fand
( http://ana.ch/words/archive/?id=246 )
findez tbz ganz gut
ab und zu kreuzli zu machen online
denn dafuer haben wir ja das interwebs erfunden
um anzukreuzen zu koennen
was wir so finden.
oder auch nicht und tbz labert einfach mist
aber egal.

jedenfalls
check your privileges
und hier darf man kreuzli machen
https://www.buzzfeed.com/regajha/how-privileged-are-you?

aber:
laesst sich dieser doch irgendwie sehr amerikanische test
hier ueberhaupt ankreuzen
wenn die option
"betrifft mich nicht"
oder "kein thema"
oder sowas in der art
nicht existiert?

anyway. zwei ergebnisse im screenshot
(denn auch dafuer wurde das interwebs erfunden
um zu screenshotten
was so angekreuzt wird)

eure screenshots und kommentare und kreuzli
wie immer an words@ana


bild: http://ana.ch/words/bilder/37privilegiert.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

bild: http://ana.ch/words/bilder/74privilegiert.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6717



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Tuesday, June 23, 2020

ana.words, wohin stuerzt das zeug, wenn es vom sockel ist?

wir machen uns ja grad bisschen gedanken
zur vielgelobten neutralitaet der schweiz.
und tbz wollte euch werte ana.lesers noch fragen
was ihr von dem hier haltet:

https://www.watson.ch/schweiz/kommentar/152447485-warum-wir-alfred-escher-nicht-vom-sockel-stuerzen-sollten


und tbz hat drum rum ueberlegt
bezueglich "sachen ins museum stellen"
dass sie so zwar eingebettet werden koennen
geschichtlich, mit anderen exponaten und mit hintergrundinfos und so
aber dass sie dadurch auch
- mitsamt infos, die man zugeben koennte
zusatzplaketten, zusatzstatuen daneben -
aus dem oeffentlichen raum
also aus dem oeffentlich fuer alle zugaenglichen raum
verschwinden
und nur noch fuer eine bestimmte schicht leute
zugaenglich ist
die in museen geht
und dafuer zahlt.
so grundsaetzlich mal.
hmmm...




wer viel dazu lesen moechte
das wort sei bernhard c. schaer gegeben:

interview mit bernhard c. schaer (bcs) im bieler tagblat
gefuehrt von tobias graden


«Die moderne Welt ist auf Basis von Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus entstanden»

Der Streit um den «Mohrenkopf» sei der Einstieg zum Anstoss einer
breiten gesellschaftlichen Debatte, sagt der Historiker Bernhard C.
Schär – und diese sei überfällig. Er fordert, die Schweizer Geschichte
sei neu zu denken: «Wir können uns nur verstehen, wenn wir begreifen,
dass wir in Beziehung zu anderen entstanden sind.»

Bernhard C. Schär, Bild: Christian Pfander
Interview: Tobias Graden

Bernhard C. Schär, essen Sie noch Mohrenköpfe?

bcs: Ab und zu. Die Kritik richtet sich ja nicht gegen das Produkt, sondern gegen seinen Namen.

Die Bezeichnung «Mohrenkopf» ist also eindeutig rassistisch?

bcs Ja. Im Idiotikon, der Bibel der Mundartforschung, wird «Mohr» als
Synonym für das N-Wort definiert, und «N.» hat die Konnotation von
«barbarisch», «rückständig», «unzivilisiert», «dreckig». Hinzu kommt die
Ikonographie. Der aktuelle Patron der Firma Dubler selber hat nach der
Übernahme der Firma von seinem Vater in den frühen 70er-Jahren als erste
Amtshandlung eine Werbekampagne gestoppt, die rassistische Darstellungen
von schwarzen Menschen beinhaltete.

Ein Teil der Kontroverse besagt, das Wort «Mohr» habe gar nicht
rassistischen Ursprung – es bezeichne ursprünglich wertfrei die Mauren.

bcs: Der Begriff führt ins 16. Jahrhundert zurück. Der historische
Kontext ist jener der Kreuzzüge und der Zeit, als die spanische
Halbinsel islamisch besetzt war. Man sieht heute noch in der Alhambra
und in weiteren Kathedralen Spaniens die triumphierende Ikonographie aus
der Rückeroberung: Ein zentrales Motiv ist der abgehackte Kopf eines
«Mauren». Aus dieser Zeit stammen auch die Wappen der Ritterhäuser, die
das Kreuz des Christentums zeigen und eben solche «Mohrenköpfe»,
abgeschlagene Maurenhäupter.

Es gibt in der Schweiz aber Gemeindewappen mit «Mohrenköpfen», etwa von
Möriken-Wildegg. Deren Darstellungen beziehen sich auf den Heiligen
Mauritius.

bcs: Dieser ist eine mythische Gestalt aus der Römerzeit. Er soll
nordafrikanischer Legionär gewesen sein, ein Christ, der den Märtyrertod
gestorben sein soll. Auch er ist keine unschuldige Gegenfigur zur
rassistischen Darstellung von Schwarzen. Denn der Mythos ist im
Mittelalter entstanden, im Kontext der Auseinandersetzung zwischen
Christentum und Islam. Seine Geschichte ist Teil dieser kulturellen
Auseinandersetzung, in der es um den Herrschaftsanspruch des
Christentums ging. Für die jetzige Diskussion ist aber etwas anderes
wichtig.

Und zwar?

bcs: Niemand, der die Darstellungen des Mohren nüchtern betrachtet, wird
sagen, er sehe darin den Heiligen Mauritius, einen nordafrikanischen
römischen Legionär oder Märtyrer. Sondern man sieht einen Typus: die
europäische Vorstellung, was die afrikanische «Rasse» ist.

Wie ist die heftige Reaktion jener zu erklären, die unbedingt weiterhin
«Mohrenkopf» sagen wollen?

bcs: Ich finde diese Reaktion zwar nicht richtig, aber ich kann sie bis
zu einem gewissen Grad verstehen. Denn sie hat zu tun mit einem
Geschichtsbild, das auch ich noch vermittelt bekommen habe. Bis vor
kurzem konnte man in der Schweiz die Schulen durchlaufen, selbst ein
Universitätsstudium abschliessen – und von der Geschichte des
Kolonialismus wenig mitbekommen, erst recht nicht im Zusammenhang mit
der Geschichte der Schweiz. In der breiten Bevölkerung ist also kaum
Wissen vorhanden. In einem solchen Kontext ist es verständlich, wenn
Menschen aus dem Mittelstand mit gewöhnlicher Schulbildung, die in
letzter Zeit harte Jahre durchgemacht haben und deren Perspektive
unsicher ist, mit Abwehr reagieren. Und als dritter Faktor kommt hinzu,
dass die Debatte von der grössten und mächtigsten Partei des Landes
hochprofessionell propagandistisch bewirtschaftet wird.

Ist die Debatte das schweizerisch-harmlose Symptom eines generell
tobenden Kulturkampfs?

bcs: Ja, wobei es nicht nur harmlos ist. Der Streit um den Mohrenkopf
hat einen Zusammenhang mit den Diskussionen um Polizeigewalt, den Umgang
mit Migrantinnen und Migranten oder struktureller Benachteiligung. Denn
lange war auch der «Mohrenkopf» ein Beispiel für einen breiten
kulturellen Konsens, der sich in einem tiefen Misstrauen gegenüber
Menschen aus Afrika äussert und den Boden bereitet dafür, dass etwa die
Polizei gegenüber afrikanischen Dealern hart einfahren kann und nicht
damit rechnen muss, dafür kritisiert zu werden. Der Mohrenkopf ist also
ein Einstieg zum Anstoss einer breiten gesellschaftlichen Debatte.

Überschiesst diese Debatte bisweilen, wenn sich etwa die Colonial-Bar in
Bern gezwungen sieht, ihren Namen zu ändern – den sie nicht aus
rassistischen Gründen trägt, sondern wegen des historischen Bezugs zum
Gebäude, in dem sie sich befindet?

bcs: An dieser Geschichte ist interessant, dass sie die Verschiebung auf
breiter Ebene zeigt – die Colonial-Bar ist das lokale Bespiel, Migros
das nationale, die Geschichte von Nike und dem Football-Spieler Colin
Kaepernick das internationale. Und an ihr zeigt sich, dass der Wandel
sozusagen auch vom Kapitalismus ausgeht. Es geht um Märkte: In der
linksten Stadt der Schweiz kann man angesichts der Diskursverschiebung
irgendwann schlicht nicht mehr an einem solchen Namen festhalten, weil
man sonst einen Reputations- und letztlich Geschäftsschaden erleidet.

Was ist denn so sehr problematisch am Namen «Colonial-Bar»?

bcs: Wir sind uns sicher alle einig, dass man eine Bar nicht
«Stalin-Bar» nennen würde oder «Apartheid-Bar». Auch der Kolonialismus
war ein ausbeuterisches und enorm gewalttätiges Herrschaftssystem. Aber
die koloniale Vergangenheit wird verklärt. Auch dies hängt mit dem
Wissenskontext zusammen: Wir sind in den Schulen gar nicht darüber
informiert worden, wie gewalttätig der Kolonialismus war. Er wird
verharmlost.

Er hat aber auch eine gewisse Romantik – der Flohmarkt bei der Porte de
Clignancourt in Paris mit seinen kolonialen Gegenständen oder die Bar
eines alten englischen Hotels auf Sri Lanka, das sind schöne Orte.

bcs: Der Kolonialismus wurde schon in seiner Zeit romantisiert – doch er
war bloss für zwei Prozent der Bevölkerung romantisch, nämlich für die
weissen Kolonialherren. Die Nachfahren jener Menschen, die Zwangsarbeit
leisten mussten oder versklavt wurden, haben mit gutem Grund eine andere
Sichtweise. Sie leben heute unter uns, also müssen wir auch Namen wie
jenen von der Colonial-Bar neu aushandeln. Das Beispiel von Nike und
Colin Kaepernick zeigt, dass mit dem Wandel der Antirassismus auch
ökonomisch interessant wird – darin zeigt sich die Flexibilität des
Kapitalismus. In Tourismusregionen mit Gästen aus Indien sind
Restaurants, die «Zum Mohren» hiessen, längst umbenannt worden.

Der Kampf gegen Rassismus hat die Bilder und Denkmäler erreicht. In
einer Berner Schule wurde ein Wandbild aus den 50er-Jahren übermalt. Was
halten Sie von der Aktion?

bcs: Ich finde die eigentlich noch gut. Die Stadt Bern hat ja einen
Wettbewerb zum künftigen Umgang mit dem Bild ausgeschrieben. Ich bin in
einem der teilnehmenden Teams als Berater tätig. Wir sind das einzige
Team, das vorschlägt, das Wandbild sei zu entfernen und dem historischen
Museum zu übergeben, wo es Teil einer Ausstellung werden soll, die
aufzeigt, wie Bern als Stadt und Kanton mit dem Kolonialismus verbunden
war. Gerade mit der Übermalung ist das Wandbild ein passendes Exponat,
weil es den Konflikt, in dem wir heute stecken, zum Ausdruck bringt – es
geht auch um unterschiedliche, konkurrierende Erinnerungsweisen. Man
kann damit aufzeigen, dass dieser Konflikt nicht erst heute entstanden
ist, sondern eine lange Vorgeschichte hat.

Das Bild ist für die Geschichtswissenschaft ein so genannter «Überrest»,
ein materieller Zeitzeuge seiner Epoche. Es müsste Sie als Historiker
doch schmerzen, wenn ein solches Objekt beschädigt oder zerstört wird.

bcs: Das ist womöglich für einen Kunsthistoriker so. Aber es wäre naiv
zu glauben, dass alle Materialien aus der Vergangenheit erhalten
bleiben. Der grösste Teil der Arbeit eines Archivs besteht nicht im
Erhalten, sondern im Aussortieren und Vernichten. Darum gibt es die
Quellen- und Archivkritik. In der Kolonialgeschichte arbeite ich viel in
Indonesien. 95 Prozent der Menschen, die dort lebten, haben keinerlei
Quellen hinterlassen. Was von den restlichen fünf Prozent übrig ist, ist
hochgradig selektiv. Archive sind im 19. Jahrhundert entstanden, also im
kolonialen Kontext. Gewisse Ereignisse wurden bewusst nicht dokumentiert
oder archiviert – und wenn, dann nur sehr ausgewählt.

Zum Beispiel?

bcs: Ich habe gerade einen Aufsatz geschrieben über Louis Wyrsch, den
«Borneo-Louis». Er war im 19. Jahrhundert Landammann des Kantons
Nidwalden, aber auch 15 Jahre lang Offizier der holländischen
Kolonialarmee. Er hatte eine Konkubine, wahrscheinlich eine Sklavin, mit
der er fünf Kinder zeugte. Er hinterliess ein minutiöses Tagebuch, es
befindet sich nun im Staatsarchiv Nidwalden. Entweder er selber oder
einer seiner Nachfahren hat mit einer Rasierklinge sorgfältigst alle
Passagen entfernt, die über diese Konkubine Auskunft geben. Das zeigt:
Was überliefert wird, ist selektiv, es wird verändert oder auch zerstört
– mit einem gewissen Ziel.

Zurück zum Wandbild: Der Wettbewerb um den künftigen Umgang damit war
noch nicht abgeschlossen. Eine Übermalungsaktion greift dem Ergebnis
vor, sie ist nicht aus historisch-wissenschaftlichem Motiv erfolgt.

bcs: Gerade als Historiker sollten wir dem gegenüber gelassen sein. Wir
befinden uns in einer Umbruchsituation, lange wurde vieles versäumt, und
nun sind die Menschen ungeduldig. Der Tod von George Floyd hat
aufgestaute Wut neu entfacht, und dann kann es zu solchen Aktionen
kommen. Der Blick in die Geschichte zeigt: Historischer Wandel geht
selten diszipliniert und geordnet vonstatten. Auch unser Bundesstaat
wäre ohne solche Aktionen nicht entstanden – diese beinhalteten nicht
nur Gewalt an Sachen, sondern auch an Personen, wenn wir etwa an die
Freischarenzüge denken.

Wenn man aber sagt, das Bild müsse verschwinden, dann ähnelt diese
Haltung doch jener der Taliban, welche die Buddha-Statuen sprengten.

bcs: Dieser Vergleich ist völlig unhaltbar. Die Taliban sind ein
totalitäres Terrorregime. Die «Täterschaft» in Bern steht gegen alles,
was die Taliban verkörpern. Man muss sehen: Die Geschichtswissenschaft
als Disziplin ist im 19. Jahrhundert entstanden, und bis heute erzählt
sie die Geschichte mehrheitlich aus der Perspektive der europäischen,
weissen Gesellschaften. Vor allem afrikanisch-stämmige Gesellschaften
wurden lange vernachlässigt und vertröstet.

Soll also in Neuenburg die Statue von David de Pury verschwinden?

bcs: Was sind Statuen? Sie sind eine Form der Vergegenwärtigung von
Vergangenheit. Sie sind Narrative, keine objektive Darstellung. Sie sind
im 19. Jahrhundert entstanden, im Zeitalter des Historismus, der
Heldengeschichten. Im Statuenstreit geht es also nicht darum, die
Vergangenheit auszuradieren, sondern es geht um die Frage, wie wir diese
Vergangenheit heute erzählen wollen. Im 19. Jahrhundert erfolgte dies
staatlich-obrigkeitlich verordnet, um einen kleinen Teil der männlichen,
bürgerlichen Elite zu zelebrieren. Niemand kann mehr ernsthaft der
Meinung sein, dass dies auch heute die Art sein soll, wie wir uns an die
Vergangenheit erinnern wollen. In dem Sinne müssen wir den
Statuen-Streit begrüssen: Wir reden heute mehr über Geschichte als
vorher.

Das ist doch genau der Punkt: Die Statue erzählt nicht nur von David de
Pury, sondern sie erzählt von der Darstellung von David de Pury in der
Zeit ihrer Entstehung.

bcs: Als das – als Quelle – ist die Statue aber nicht entstanden.
Sondern als Darstellung. Wir betrachten heute ja auch die
Geschichtsbücher des 19. Jahrhunderts nicht mehr als Forschungsstand,
sondern als Quelle. Wenn wir die Statue zur Quelle machen wollen, müssen
wir sie neu kontextualisieren. Denn die Statue selber erzählt uns nicht
die Geschichte davon, wie im 19. Jahrhundert die unangenehmen Seiten
ausgeblendet wurden. Sondern sie hat eine triumphierende Geste, die
heute keinen Sinn mehr macht.

De Pury hat – wie es für einen Geschäftsmann in seiner Zeit üblich war –
indirekt am Kolonialismus und Sklavenhandel verdient, aber ebenso viel
Gutes für seine Heimatstadt getan. Wie ist denn eine solche Figur aus
heutiger Sicht zu bewerten?

bcs: Als typisch, exemplarisch für seine Zeit – das gilt auch für seine
Darstellung. Im 19. Jahrhundert haben wir in Europa einerseits die
Revolutionen und entstehenden Demokratien, die viel übernehmen vom
Freiheitskampf der Sklaven in der Karibik, insbesondere von der
haitianischen Revolution. Doch während sich die europäischen
Gesellschaften demokratisieren, beginnen sie mit der Kolonisierung einer
Mehrheit der Weltbevölkerung in Afrika und Asien. Es kommt zu
Ausbeutung, Völkermord, der Auslöschung ganzer Kulturen. Die Geschichte
ist also ambivalent, und De Pury verkörpert in seiner Person beide
Seiten. Und seine Statue ist typisch für die Erinnerungskultur im 19.
Jahrhundert, die nur die schönen Seiten zeigt.

Missliebig geworden ist auch das Denkmal von Alfred Escher in Zürich.
Wie sehen Sie es bei ihm?

bcs: Ähnlich.

Escher hat nicht einmal selber direkt am Sklavenhandel verdient, wohl
aber seine Familie. Gilt in der rückblickenden Betrachtung Sippenhaft?

bcs: Nicht wir haben Escher auf den Sockel gestellt, sondern die
Menschen im 19. Jahrhundert. Damit müssen wir nun arbeiten. Bei Escher
kristallisiert sich ganz viel aus der Gründungszeit des Bundesstaates.
Auch in ihm zeigt sich die ganze Ambivalenz, und dabei geht es nicht nur
um ihn selber oder die Familie Escher, sondern um die europäische
bürgerliche Gesellschaft überhaupt, die ihren Reichtum natürlich im
imperialen, kolonialen Kontext erworben und eine Kultur, eine
Lebensweise herausgebildet hat, die nur durch die koloniale Expansion
möglich war. Gleichzeitig waren solche Figuren Patrioten und
Nationalisten, welche die engen Modelle von Geschichte geschaffen haben,
die sehr vieles ausgeblendet haben.

Wenn man nun aber sagt, Escher müsse weg …

bcs: (unterbricht) Ich sage das nicht. Meine Haltung ist: Zelebrieren
wir doch die Demokratie und die Freiheit, weil wir eben gerade nicht
unter einem Taliban-Regime leben. Wir sind frei, die Art und Weise, wie
wir Geschichte vergegenwärtigen, neu zu gestalten.

Und wie?

bcs: Als solider Demokrat sage ich: Der Prozess dieser
Entscheidungsfindung soll demokratisch sein und alle miteinschliessen.
Es ist an der Neuenburger oder der Zürcher Gesellschaft zu befinden, wie
mit De Pury und Escher zu verfahren ist. Vielleicht kommen diese zum
Schluss, die Statuen müssten verschwinden, vielleicht aber auch, dass
sie zum Beispiel mit einer zweiten Statue kombiniert werden sollen. Das
ist ein offener Prozess.

Wer De Pury oder Escher auf die heutige Bewertung von Kolonialismus und
Sklavenhandel reduziert, unterschlägt den historischen Kontext.

bcs: Dieses Unterschlagen ist aber auch genau das, was die Statuen tun.
Sie haben nichts mit Geschichtsschreibung zu tun, das war selbst im 19.
Jahrhundert so. Sie sind dazu da, bestimmte mächtige gesellschaftliche
Gruppierungen abzufeiern, und nicht um diese wissenschaftlich-kritisch
zu kontextualisieren.

In England wird von der BLM-Bewegung selbst Winston Churchill nur noch
auf den Aspekt des Rassismus hin betrachtet, dabei sind seine Verdienste
im Kampf gegen den Faschismus unermesslich. Herrscht da nicht ein
verengter Blick auf die Geschichte?

bcs: Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann ja. Aber ich glaube, das
tut niemand, der vernünftig ist. Ich kenne jedenfalls keine Historikerin
und keinen Historiker mit einem so einseitigen Blick. Doch auch hier: Es
wäre ebenso verengt, nur seine – unbestrittenen! – Verdienste im Kampf
gegen den Faschismus zu sehen. Die unzähligen Opfer seiner imperialen
Politik in Indien gilt es auch zu berücksichtigen.

Theatermacher Milo Rau hat kürzlich auf diese Ambivalenz hingewiesen. Er
hat darauf aufmerksam gemacht, dass König Leopold II. in Belgisch-Kongo
zwar die Sklavenhaltung der Araber beseitigt hat, aber selber für
unfassbares Leid verantwortlich war, an dem Belgien verdiente. Er
folgert: «Wir alle sind Leopold II.»

bcs: Man muss schon unterscheiden. Figuren wie Escher und De Pury lebten
in einem bestimmten System, so wie wir heute in einem System leben, das
den Kolonialismus immer noch mit sich trägt. Aber Leopold II. ist eine
krasse Figur. Er unterhielt eine Kolonialherrschaft, die selbst für ihre
Zeit unglaublich brutal und gewalttätig war. Sogar die anderen
Kolonialmächte England und Frankreich kritisierten Belgien für dessen
systematische Gewalt. Eine solche Figur würde heute vor dem
Internationalen Strafgerichtshof landen.

Um zurück zur Schweiz zu kommen…

bcs: (unterbricht) Leopold II. hat einen wichtigen Bezug zur Schweiz:
Seine engsten Verbündeten waren jene Genfer Philanthropen, Financiers
und Juristen, die auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes
gegründet haben.

Ist denn die ganze Geschichte der Entstehung der modernen Schweiz im 18.
und 19. Jahrhundert als rassistisch zu bezeichnen?

bcs: Soweit würde ich nicht gehen. Aber sie lässt sich nicht verstehen
ohne die Geschichte Europas, und diese lässt sich nicht verstehen ohne
die Geschichte des Kolonialismus. Die ganze moderne Welt ist auf Basis
von Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus entstanden. Das betrifft auch
die Schweiz.

Die «Globalgeschichte der Schweiz» ist Ihr Spezialgebiet. Verspüren Sie
Genugtuung, dass Ihr Fachgebiet nun eine so breite Beachtung findet?

bcs: Es freut mich, aber es überrascht mich nicht. Vor allem aber ist
erfreulich, dass Lehrpersonen vermehrt Interesse an unseren
Erkenntnissen haben. Denn in vielen Schulklassen stellen so genannte
Ausländer teils die Mehrheit. Diesen kann man die Geschichte nicht mehr
so vermitteln, wie sie mir im Schulalter erzählt wurde. Und mich freut
am meisten, wenn mir junge People of Colour sagen, dank meiner Arbeit
verstünden sie die Schweiz und ihre eigene Position in diesem Land
besser.

Sie fordern ganz grundsätzlich, man müsse die Schweizer Geschichte neu
denken. Worum geht es Ihnen?

bcs: Um Beziehungen. Darum, dass sich Geschichte nicht länger in
Abgrenzung denken lässt. Wir können uns nur verstehen, wenn wir
begreifen, dass wir in Beziehung zu anderen entstanden sind. Das gilt
nicht nur für die Geschichte von Nationen, sondern für die Geschichte
der Menschen allgemein. Wir sind nicht mehr die kleine Gruppe
bürgerlicher weisser Männer, die entscheiden, was Geschichte ist –
sondern wir entwickeln diese im Dialog auch mit jenen früheren
Minderheiten, die nun mit am Tisch sitzen.

Sie haben letze Woche in der WoZ gefordert, dass im Historischen Lexikon
der Schweiz ein Eintrag zum Begriff «Rassismus» aufgenommen werden
müsse. Warum ist dies wichtig?

bcs: Die Kolonialgeschichte der Schweiz ist ein grosser blinder Fleck in
der Geschichtsschreibung, selbst in den neueren, grossartigen Büchern
zur Schweizer Geschichte ist dazu wenig zu finden.

Sie haben gleich einen Vorschlag verfasst. Darin schreiben Sie,
Rassismus behaupte «im Kern» «eine christliche, europäische oder weisse
Überlegenheit gegenüber anderen &lsqauo;Rassen›, &lsqauo;Völkern›, &lsqauo;Ethnien› oder
&lsqauo;Kulturen›». Gibt es aus Ihrer Sicht also keinen Rassismus in Asien?

bcs: Das ist etwas komplizierter. In allen Gesellschaften gab es stets
Herrschaftsverhältnisse, Unterdrückung, Gewalt, verschiedene Formen von
Sklaverei. Aber die Kultur und Systematisierung des Rassismus, vor allem
des wissenschaftlichen Rassismus, das ist ein europäisches Phänomen. Und
dieses ist über die kolonialen Bildungssysteme auch in andere
Weltregionen «exportiert» worden.

Wie erklärt sich denn der Völkermord in Ruanda Mitte der 90er-Jahre?

bcs: Dazu gibt es ganz gute Untersuchungen. Vorkolonial gab es dort
keine rassischen Kategorien, man konnte als Hutu geboren werden und als
Tutsi sterben. Das Bemühen, klare Differenzen und Hierarchien zu ziehen
und zu essentialisieren, das ist ein Teil der europäischen Kultur. Diese
wurde namentlich von Schweizer Missionaren im kolonialen ruandischen
Schulsystem vermittelt. Und dieses System wurde dann für die – durchaus
vorhandenen – bestehenden Konflikte zwischen Hutus und Tutsis benutzt,
um die eigene Position aufzuwerten.

Und wie sieht es mit China aus? Dort gibt es durchaus auch Rassismus.

bcs: Der Punkt ist: Der europäische Imperialismus war vor allem
kulturell so durchgreifend und erfolgreich, dass wir heute gar keine
direkten Bezüge mehr haben zu vorkolonialen nicht-europäischen
Wissenssystemen. China konnte sich zwar lange zur Wehr setzen, aber
schliesslich hat sich auch das chinesische Bildungssystem am Westen
ausgerichtet, zuletzt am kommunistischen Westen. Diese Verwestlichung
hatte auch zur Folge, dass man die hiesigen Theorien übernahm und
adaptierte. Und dazu gehörte auch die europäische Rassentheorie.

Es gab in China vor dem Kolonialismus also keinen Rassismus?

bcs: Natürlich gab es Ungleichheiten und Abgrenzungen, schliesslich
baute man die chinesische Mauer als Wand gegen die «Barbaren». Aber
diese kategorialen Unterscheidungen waren nicht eingebettet in eine
derart systematische Lehre von Unterschieden, die man auch an
Körpermerkmalen festmachte, wie dies im kolonialen europäischen
Rassismus dann der Fall war. Der heutige Rassismus in China hat also
weniger mit dem Rückgriff auf Konfuzius zu tun als mit dem Theorieimport
während der Republik und vor allem unter Mao.

Ihr Fachkollege Georg Kreis hat festgehalten, dass die Schweiz ein
«Grundproblem mit Rassismus» habe, «wie fast jedes Land». Ist Rassismus
eine Konstante, mithin dem Menschen wesenseigen?

bcs: Dass man Unterscheidungen macht, mag eine anthropologische
Konstante sein. Man findet auch in der Antike bei Aristoteles
Taxierungen, er teilte Pflanzen, Tiere und Menschen in unterschiedliche
Kategorien ein. Doch in der historischen Rassismusforschung ist es
Konsens, dass jener Rassismus, mit dem wir es heute zu tun haben, nicht
auf Aristoteles zurückgeht, nichts mit Konfuzius und fast nichts mit der
ayurvedischen indischen Lehre zu tun hat, nichts mit der Maya- oder der
Zulu-Kultur in Südafrika.

Warum nicht?

bcs: Die Verbindung zu diesen Traditionen ist durch den europäischen
Imperialismus gekappt worden, diese Wissenssysteme wurden als
Aberglaube, als Unwissen taxiert. Alle diese Gesellschaften haben sich
europäisiert. Darum hat der heutige Rassismus weltweit seinen Beginn im
späten 15. Jahrhundert, da ist eine Zäsur. Die obsessive
Systematisierung des Rassismus – in Europa verlegten sich tausende
Menschen auf dessen Erforschung – ist ein Phänomen, das erst mit der
europäischen Expansion entstand.

Übrigens: Von wo kommen Sie?

bcs: Ich bin vorhin von zuhause gekommen.

Sie vereinen in sich selber ein Stück Migrationsgeschichte.

bcs: Ja, ich komme ein bisschen von überall her. Meine Mutter stammt aus
Peru, dieses war Teil der europäischen Kolonialisierung, hat indigene
Bevölkerung, aber auch einen grossen Anteil asiatischer Migration. Ein
Teil meiner peruanischen Familie hat japanische Verbindungen. Mein Vater
kommt aus dem Emmental.

Die Frage nervt viele People of Colour – aber wenn sie aus ehrlichem
Interesse erfolgt, ist sie doch ein Zeichen von Anteilnahme.

bcs: Es kommt auf die Art und Weise an, wie man sie stellt. Aus
Interesse und respektvoll gefragt, ist sie kein Problem. Aber wenn
People of Colour dies mehrmals pro Tag gefragt werden, kann das schon
nerven. Sind Sie im aussereuropäischen Raum gereist?

Beispielsweise in Afrika. Es kam vor, dass mich Kinder berührten und
testen wollten, ob sich die weisse Hautfarbe wegrubbeln lässt.

bcs: Sehen Sie – das gibt eine vage Vorstellung davon, wie es ist, wenn
man zu einer Minderheit gehört und als Abweichung von der Norm
wahrgenommen wird. Das ist anstrengend.

Mit der Globalisierung nimmt dies aber ab. Hierzulande ist eigentlich
niemand mehr richtig exotisch.

bcs: Das sollte man meinen. Und trotzdem wird schwarzen Menschen ständig
zu verstehen gegeben, dass sie hier fremd sind, auch wenn sie schon in
dritter Generation hier leben und perfekt Mundart reden. Die Frage,
woher man kommt, wird dann bald mal lästig.

Zur Person
Geboren 1975
Studium der Geschichtswissenschaft in Bern und Genf
Promotion zum Thema «Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900», erschienen im Campus-Verlag
Lehrt und forscht an der ETH Zürich, derzeit zur Rolle von Schweizer Söldnern während der holländischen Kolonialkriege im Südostasien des 19. Jahrhunderts
Zahlreiche Publikationen zur Globalgeschichte der Schweiz, aber auch zur 68er-Bewegung, zum Antiziganismus oder zur Wissenschaftsgeschichte
Lebt in Bern tg


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Monday, June 22, 2020

ana.words, august dann halt

liebe lesers

der lesezirkel vom april wurde
wegen zombieapokalypse
- oder was ist gerade schon wieder los? -
verschoben
und mit einigem rumzirkeln
wem der bisherigen es wann passt
wurde ein neues datum gefunden
das hiermit offiziell verkuendet sei:


sonntag, 30. august 2020
14.30 uhr bei tbz & sru
(wegbeschreibung kurz vorher)
buch: das stille haus
von: orhan pamuk

und falls wir sehen, dass es nicht passt,
weil wieder zombieapokalypse herrscht,
und wir wegen abstand
(oder wegen einer million interessierter
die sich aber als tiktok-fake-interessierte rausstellen werden)
eher ein stadium als ne stube braeuchten,
dann suchen wir paar tage vorher eine adaequatere loesung...

jedenfalls:
termin notieren,
buch lesen,
mitreden.


guten start in die woche!


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Thursday, June 18, 2020

ana.words, flambierter adrenalinkick

immer dieser huere nervenkitzel

wenn du ausm tram aussteigst
die maske entsorgst
dir die haende desinfizierst
dir dann ne zigi anzuendest

ob wohl gleich die haende brennen...


http://ana.ch/words/archive/?id=6714



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Wednesday, June 17, 2020

ana.words, politisch vermessen

heute haben wir etwas zeit
zeit um sich durch 70 fragen zu klicken

https://www.idrlabs.com/de/politischer-8-werte-test/test.php

ergebnisse und alles andere erfarenswerte
wie immer an ana.words senden

bild: http://ana.ch/words/bilder/8werte.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6713



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Tuesday, June 16, 2020

ana.words, zumindest das

heute ohne worte ein bild
(aha, hoppla, auf dem bild steht was drauf
ist das nun also ein meme? ha!)


bild: http://ana.ch/words/bilder/covidalien.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6712



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a n a . w o r d s
mit bildern.

von euch gescannt, gemalt, photographiert, gezeichnet.
ihr malt, wir versenden.

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Monday, June 15, 2020

ana.words, voegeli versus psychi

heute:
es war einmal eine vogelgrippe
(Influenza-A-Virus H5N1)
siehe da:
http://ana.ch/words/archive/?id=4740


http://ana.ch/words/archive/?id=6711



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Friday, June 12, 2020

ana.words, ach ja, die schweiz

ERSTENS:

tbz will gern etwas froehlichkeit verbreiten:
momoll, potztuusig, der nationalrat sagt anno 2020 ja zur ehe fuer alle.

das allein kann einem ja schon bisschen absurd vorkommen, egal ob das
vorgeplaenkel 4 oder 6,5 oder 50 jahre dauerte; 2020 war ja frueher mal
sozusagen als ferne und fortschrittliche zukunft gedacht, gaellit, eher
mit ner weltregierung oder foederation der vereinigten planeten und
gleichberechtigung und so zeug und nicht sowas wie jetzt rundum eher
herrscht. so ne leistung ist das ja irgendwie nicht, duenkt es einen.
also versteht ihr, was tbz meint?

und dann kommt als naextes nun eh erst noch der staenderat und beraet.
entschieden ist noch gar nix. mal sehen.

und dann kommt das referendum (hier koennt ihr euch darueber aufm
laufenden halten: http://ehe-erhalten.ch/ ), und dann kommt ein
baeumiger abstimmungskampf, in dem natuerlich niiiiiemand etwas gegen
schwule und lesben hat (bisexuelle und transmenschen werden nicht
erwaehnt), es aber natuerlich ausschliesslich ums kindeswohl geht. die
ehe fuer alle kommt dann aber doch, sagt das volk. in paar jahren.

am schluss schaffen wir's noch die ehe abzuschaffen,
bevor es sie fuer alle gibt. ha!

tbz als spielverderberin. aber freut euch ruhig. ist schon korrekt.


ZWEITENS:

jammert man in anderen laendern eigentlich auch so viel wegen schoggi
wie in der schweiz?
(buhuhu, aber staldencreme ist sooo fein, buhuhu, aber laederach-schoggi
ist soooo fein, buhuhu, aber die von dubler sind soooo fein.)



DRITTENS: zwei bildli. eins von einer satiresendung,
und eins von ruedi widmer in der woz von gestern.
auch satire wahrscheinlich.
eventuell.

wobei man dazu schon anmerken muss, dass als man wirklich kurz dachte,
banksy habe in zuerich zugeschlagen, sofort eine plexiglasscheibe
drueber angebracht wurde. wegen kunst. das war auch lustig:
http://izzymag.ch/article/wie-in-einer-nacht-gefeierte-kunst-entsteht-banksy-zuerich



schoenes wochenende!


bild: http://ana.ch/words/bilder/devilleduble.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

bild: http://ana.ch/words/bilder/banksystadt.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6710



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p.s.
vorgeplaenkel:
wahrscheinlich ist 6,5 jahre die richtige antwort.
schoggi:
stalden = nestlé = ihrwisstschon
laederach = evangelikale abtreibungsgegner die alte entlassen
dubler = umsverrecke auf "mohrenkopf" bestehen


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Thursday, June 11, 2020

ana.words, zahlenassoziationen

einsendung von eriz:


seit ich im homeoffice bin, muss ich jeden tag gefühlte 20 mal eine mtan bemühen
auffälligerweise oft sind die zahlen sehr auffällig

zum beispiel die mtan von microsoft heute morgen:
6662489 (gesponsert vom braunauer fremdenverkehrsamt?)

oder die vom online-banking bei meiner lieblingsbank:
1120316 (die jungsozialisten wollen nach der abstimmung 2013 ihre seele im himmel sehen)

gestern war die von microsoft auch nicht besser:
8881234 (statt dem zufallsgenerator durfte der lehrling ran)

oder die von letzter woche:
0036588 (wer beginnt eine TAN mit einer Null? und so schlimm finde ich das office-paket auch nicht und an verschwörungstheorien glaube ich auch nicht - ok, ausser an die über bielefeld)

eriz

[ ] geht das nur mir so?
[ ] habe ich einen zahlentick?
[ ] oder einfach zu viel fantasie?
[ ] habt ihr auch schon solche zahlen "bemerkt"? matrix lässt grüssen
[ ] danke
[ ] nein
[ ] sex
[ ] ja


http://ana.ch/words/archive/?id=6709



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Wednesday, June 10, 2020

ana.words, die logik des museums

neue naegelis in zueri
ihr erinnert euch:
http://www.ana.ch/words/archive/?id=6680


und nun aber
lachanfall, hysterischer:
das kunsthaus zeigt den naegeli an,
sehet hier:

https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-kunsthaus-reicht-strafanzeige-gegen-harald-naegeli-ein-712267922218

ist also offenbar 2020
immer noch keine kunst.

ist sachbeschaedigung,
ist vandalismus.


kleine idee:
statt das maennli hinterm hoellentor wegzuputzen
haettet ihr doch das piece
einfach aus der wand fraesen
und IM kunsthaus ausstellen koennen.
gegen eintrittsgeld.
gschidlinge.

(bild: aus den kommentaren beim tagi-artikel)


bild: http://ana.ch/words/bilder/wienaegelikunstist.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6708



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Tuesday, June 09, 2020

ana.words, unstetes sexleben, forstetzungsroman

werte alte ana.hasen

vielleicht moegt ihr euch erinnern
an ein ana.word zur pille danach
anno 2009.
hauptdarsteller:
ein apotheker namens metin san
in der bellevue apotheke zueri.


lest es bitte hier nach:

http://ana.ch/words/archive/?id=5341
(und wenn ihr lust habt
koennt ihr "folgende ausgabe" anklicken
dann gibz noch reaktionen dazu)



gut, wenn gelesen nun weiter im text.
letzten sommer las tbz im tagblatt der stadt zuerich
dass die bellevue-apotheke in neue haende kommt
und ab juli 2019 geleitet wird von
- ihr erratet es - metin san.

und tbz hatte dies aus dem tagblatt der stadt zueri ausgerissen
weil sie das eigentlich mal noch bei ana unterbringen wollte
dass der hier erwaehnte "solche frauen"-schimpfende
und bei ana deshalb wohlbekannte herr
nun also nicht mehr nur da arbeitet
sondern die apotheke fuehrt.

ueber solche leute in fuehrungspositionen
freuen wir uns ja immer, nicht wahr.

und wenn ihr nachlesen wollt
ob der vorherige scheff auch ein goldschaetzeli war
so findet ihr hier den besagten artikel
den tbz in papier rausgerupft hatte:
https://www.tagblattzuerich.ch/aktuell/reportage/reportage-detail/article/der-bellevue-dinosaurier-verlaesst-seine-apotheke.html


nun aber weiter im text.
elf jahre nachdem metin san
in 20minuten seine meinung kundtun durfte
ueber die ausgeartete emanzipation
erschien gestern folgender artikel im blick
den ihr nun exklusiv mit bildunterschriften als text kriegt.

(wenn ihr auch noch ein video wollt
hier der link zum besagten blick-artikel.
spoiler alert:
von der geschaeftsleitung wollte gegenueber blick niemand stellung nehmen.
https://www.blick.ch/news/wirtschaft/kundin-in-zuercher-apotheke-vor-ganzen-kundschaft-blossgestellt-die-mit-dem-blauen-block-braucht-die-pille-danach-id15926500.html )


"Kundin in Zürcher Apotheke vor ganzen Kundschaft blossgestellt

«Die mit dem blauen Block braucht die Pille danach»

Sie will eigentlich nur die Pille danach und ein diskretes Gespräch. Der
Fall entwickelt sich aber zur Demütigung. Am Ende hagelt es sogar noch
Spott für die Kundin.
Marc Iseli und Ramona Schelbert

1/4
Apotheke am Bellevue in Zürich: Hier wurde eine Kundin wenig taktvoll bedient.

2/4
Ein diskretes Gespräch zur Abgabe der Pille danach wurde ihr verweigert.

3/4
Die Apotheke gehört zur gesundheitlichen Notfallversorgung der Stadt.
4/4
Die Kundin fühlt sich gedemütigt.

Es geschah am Tag ihres Geburtstages. Stefanie C.* erfuhr die Demütigung
ihres Lebens. «Noch nie habe ich mich in der Öffentlichkeit so
blossgestellt und nackt gefühlt», sagt sie im Nachhinein. Sie will
anonym bleiben, erzählt BLICK aber, wie sie an einem Abend in eine
Zürcher Notfallapotheke ging und vor der ganzen Kundschaft über ihr
Sexleben ausgefragt wurde.

Die Geschichte beginnt mit einem Abendessen unter Freunden. Stefanie C.
bereitet alles minutiös vor. Im Stress vergisst sie, ihren
Verhütungsring rechtzeitig wieder einzusetzen. Dieser darf maximal drei
Stunden pro Tag rausgenommen werden. Sonst ist der Schutz vor einer
Schwangerschaft nicht mehr gegeben. «Sobald mir dies bewusst wurde,
wusste ich, was mir blühte: die Pille danach.»

Nach dem Essen macht sie sich auf den Weg zur Apotheke. Ihr Freund
begleitet sie. Es ist 21.30 Uhr. Die erste Apotheke weist die beiden ab,
sie machen sich auf zur Apotheke am Bellevue, wo zwei Angestellte zur
Stunde arbeiten. Stefanie erklärt die Situation, sie erhält den
«berüchtigten Schreibblock». Dort sind Fragen aufgelistet wie etwa,
warum sie die Notfallverhütung benötige, ob sie Allergien habe oder
Medikamente zu sich nehme.

Gespräch im Séparée verwehrt

Stefanie C. beantwortet die Fragen und retourniert das Formular. Sie
muss warten, bis sie bedient wird. Es sind auch andere Kunden im Laden.
«Noch während die Apothekerin die nach mir eingetroffene Person
bediente, ging die andere zu ihr und sagte laut, mit dem Blick auf mich
gerichtet: &lsqauo;Die mit dem blauen Block braucht noch die Pille danach.›»

Es ist die erste Demütigung an diesem Abend. Aber nicht die letzte. Die
junge Frau bittet um ein Gespräch in einem separaten Raum, wie es auch
der Apothekerverband Pharmasuisse empfiehlt.

Die Apothekerin geht nicht darauf ein. «Corona und Sicherheitsabstand
waren die Begründung. Meinen Protest ignorierte sie. Und so bekamen
andere Kunden mit, wie sie mich über mein Sexualleben ausfragte. Ich
fühlte mich blossgestellt und gedemütigt», so Stefanie C.

Zum Schluss eine Portion Spott

Sie schluckt die Pille danach im öffentlichen Bereich, erhält ein Kondom
in die Hand gedrückt und wird mit einem spöttischen Spruch
verabschiedet. «Ach, Sie haben ja heute Geburtstag – alles Gute», soll
die Apothekerin zum Schluss noch gesagt haben. «Ich verliess die
Apotheke und brach dabei in Tränen aus», so die junge Frau.

Die Geschäftsführung der Apotheke will sich zu dem Fall nicht äussern.
BLICK hat aber mit einer Apothekerin über den Fall gesprochen. Sie gibt
zu, dass der Fall «so oder ähnlich» passiert sein könnte. Die Apotheke
habe ein Séparée und nutze dieses auch für solche Gespräche. Wenn der
Laden aber schon voll sei und auch der Nebenraum hinter der Schiebetür,
dann werde die Kundin manchmal im Laden beraten, heisst es. Einfach in
einer Ecke, nicht inmitten der anderen Kunden, wie es im Fall
geschildert worden sei.

An einem Abend, sagt die Angestellte weiter, seien ausserdem oft nur
noch zwei Mitarbeiterinnen vor Ort. Wenn eine Person hinten im Lager
oder sonst wo sei, dann wolle die Arbeitskollegin nicht auch ins Séparée
– und zwar aus Sicherheitsgründen. Man möchte keine Kunden alleine im
Laden lassen.

Aus Entrüstung wird Wut

Lorenz Schmid, Präsident des Zürcher Apothekerverbands, bittet um
Nachsicht, falls es in Corona-Zeiten zu schwierigen Situationen gekommen
sei. Der nationale Apothekerverband Pharmasuisse beurteilt den Fall aber
anders. Wenn die Diskretion nicht gewahrt werden könne, seien die
Apotheken angehalten, der Kundin eine Alternative aufzuzeigen. «Das
heisst konkret, dass die Kundin an eine Apotheke weitergewiesen werden
darf, die die geforderten Bedingungen optimal erfüllt», sagt Sprecherin
Rahel Rohrer.

Diese Regel gelte auch in Corona-Zeiten. «Wir bedauern, wenn die Kundin
eine Erfahrung gemacht hat, die ihr in unangenehmer Erinnerung bleibt
und sicherlich nicht für einen vorbildlichen Kundenservice in Apotheken
steht», so Rohrer.

Für Stefanie C. ist das kein Trost. Das Gefühl der Demütigung ist
zunächst der Entrüstung, schliesslich der Wut gewichen. «Ich schäme mich
weder dafür, dass ich Sex habe, noch darüber, dass ich nur ein Mensch
bin und ein Mal in zwei Jahren vergesse, mein Verhütungsmittel
einzuführen», sagt sie. «Was ich hingegen das Letzte finde, ist die Art,
wie mit mir umgegangen wurde.»

* Name geändert"



wuerkli wahr.
kein weiterer kommentar.
eure tbz


bild: http://ana.ch/words/bilder/metinsanscheff.jpg
bilder: http://ana.ch/words/bilder/

http://ana.ch/words/archive/?id=6707



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Monday, June 08, 2020

ana.words, sitzen als pflicht (teil 5/schluss)

auf der galerie sitzen zuschauer, meistens wenige. waehrend der
beratungen ueber die hochschulfoerderung sind es etwas mehr, darunter
offensichtlich studenten, aber keine gruppen, nur einzelne. mehr als
hundertfuenfzig zuschauer sind nur waehrend der sitzung der vereinigten
bundesversammlung da. es sind vor allem schulklassen mit ihrem lehrer.
er hat ihnen zu hause die demokratie erklaert und nun wollen sie sie
anschauen. zu hause wird er ihnen dann entschuldigend erkaleren, dass
heute leider kein besonders spannendes geschaeft behandelt worden sei.

er wird ihnen kaum erklaeren, dass das die regel ist, dass sich das
parlament zeit nimmt fuer details, dass ein nationalrat innert weniger
minuten von folgenden problemen hoeren kann (waehrend der behandlung des
geschaeftsberichts des departements des innern): "zusatz von antibiotika
in futtermitteln", "ueberpruefung von importaepfeln",
"maturitaetsanerkennungsverordnung", "kranken- und
unfallversicherungsgesetz", "abwasserreinigung und detergentien",
"anstalten fuer schwererziehbare", "verhalten von fussgaengern und
autofahrern an fussgaengerstreifen", "kursaele, spielapparate und
lotterien" und so weiter.

der lehrer hat seinen schuelern ein schauspiel versprochen, nun breitet
sich auf den gesichtern enttaeuschung aus. der lehrer hat bei seinen
schuelern den eindruck erweckt, dass die demokratie im parlament
stattfinde - nun sind sie enttaeuscht von der demokratie.

der lehrer glaubt auch, dass staatsbuergerunterricht sich in
staatsbuergerkunde erschoepfe, erklaert den aufbau des staates und etwa
den unterschied zwischen einer interpellation und einer kleinen anfrage.
dabei muesste er staatsbuerger sprechen lernen; er muesste ihnen die
methode, dagegen zu sein, beibringen, die methode der diskussion. und er
sollte ihnen dann vor dem besuch des nationalrates erklaeren, dass hier
die demokratie garantiert wird, nur garantiert und dass sie sie selbst
auszuueben haetten. der lehrer winkt - die schueler sind froh,
weitergehen zu koennen. vielleicht besuchen sie noch den baerengraben
oder den gurten.



ich komme aus dem langweiligen nationalrat auf die belebte strasse. die
vielen autos fahren alle aneinander vorbei. ich stehe zehn minuten da
und sehe keinen zusammenstoss. die autos stossen nicht zusammen, weil
sie rechts fahren. irgendeinmal hat dieses parlament beschlossen, dass
autofahrer rechts fahren muessen. deshalb gibt es keine zusammenstoesse.
das parlament ordnet mir meine umwelt, es erfellt seine aufgabe, meine
umwelt ist geordnet.



das parlament garantiert die demokratie. wir haben eine direkte
demokratie, das parlament selbst und allein ist sie nicht. demokratie -
so habe ich gelernt - ist diskussion. irgendwo muesste die diskussion
stattfinden, vielleicht in den parteien, aber die anstrengung der
parteien gehen fast ausschliesslich auf parlamentssitze aus, sie sehen
nur noch den apparat. das ist gefaehrlich, denn unser parlament war
nicht als parlament einer parlamentarischen demokratie gedacht. es ist
dazu nicht geeignet. unser parlament ist eine verwaltung. wenn es ausser
dem parlament nichts anderes gibt, dann haben wir nicht einmal eine
parlamentarische, sondern eine verwaltete demokratie.

wir brauchen diskussionen. wo sollen sie stattfinden? im volk finden sie
nicht mehr statt, das volk ist langweiliger, konservativer und
reaktionaerer als das parlament. es wird nicht die schuld des
parlamentes sein, wenn unsere demokratie zugrunde gehen sollte.

es erfuellt seine verwaltungsaufgabe. wenn ausser ihm aber niemend mehr
seine aufgabe erfuellt, dann leben wir in einer verwalteten demokratie,
in der demokratie ohne diskussion. sie waere die schlechteste staatsform
der welt.

aus: sitzen als pflicht
in: des schweizers schweiz © 1969
von: peter bichsel


und wenn ihr nun denkt, das habe lehrer bichsel vor nem halben
jahrhundert aber fein erklaert mit dem parlament, dann lest doch als
naextes das hier von letztem freitag. tbz muss es nochmals lesen, ist
nicht ganz drausgekommen, naemli:
https://www.republik.ch/2020/06/04/das-endspiel


einen guten start in die woche!


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Friday, June 05, 2020

ana.words, sitzen als pflicht (teil 4)

hier wird innenpolitik gemacht. man befasst sich wenig mit welt, man
befasst sich mit umwelt. kleine anfragen betreffen "tage der
landesverteidigung in genf", "sozialversicherungsabkommen", "rueckfluss
der silbermuenzen". einem buerger wurde vom bundesgericht aus
formaljuristischen gruenden unrecht getan. der rat befasst sich damit,
versetzt sich in die lage des mannes, sein name wird genannt, er ist
hier eine person. es gibt wenige grundsatzdiskussionen hier, aber es
gibt personen.

der einzige arbeiter im rat aeussert sich nicht zu sozialfragen. er
schlaegt nur vor, dass man erlauben sollte, das feldschiessen auch mit
einer andern als der persoenlichen ordonanzwaffe schiessen zu duerfen,
weil gute schuetzen mit dem sturmgewehr schlechter treffen und aus
diesem grunde dem feldschiessen fernbleiben. auch das sind die probleme
seiner kollegen, die er hier vertreten will. im uebrigen sind fast alle
geschaefte finanzgeschaefte. es geht um zahlen, immer wieder um zahlen.
wir haben sieben finanzdepartemente. ueber die kosten wird immer als
erstes diskutiert und oft als einziges.

die redner erschrecken nicht vor den "zeichen der zeit". die zeichen
sprechen so oder so fuer sie. wer dem hochschulfoerderungsgesetz
freundlich gestimmt ist, erklaert, unsere studenten seien ruhig und
verdienten die foerderug. wer eher dagegen ist, erklaert, unsere
studenten seien ruhig, und das spreche doch dafuer, dass es mit unseren
hochschulen nicht schlecht bestellt sein koenne. ein redner nennt
zahlen. wir stehen nicht sehr guenstig in der internationalen statistik
mit unserer hochschulbildung. der naechste redner erklaert, dass das mit
den statistiken eben so eine sache sei und dass die russen die fernkurse
mitzaehlen oder so. genau weiss er es nicht, er weiss aber, dass das mit
statistiken halt so eine sache ist.

ein redner sagt "seit 1291", vielleicht meint er "seit 1848", aber das
spielt keine rolle. die zuhoerer sind abgebrueht. sie lassen sich auch
von jahreszahlen nicht erschuettern. wichtig ist nur die abstimmung, und
das ergebnis ist meist zum vornherein bekannt. spannend ist hoechstens
das stimmenverhaeltnis, interessant vielleicht, wie die pda stimmt und
wer mit ihr. der mann in helllblau und ocker enthaelt sich ab und zu der
stimme.



aus: sitzen als pflicht
in: des schweizers schweiz © 1969
von: peter bichsel

schoenes wochenende!
rest am montag


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Thursday, June 04, 2020

ana.words, sitzen als pflicht (teil 3)

am ende der sitzung verliest der praesident die eingegangenen kleinen
anfragen. die kleine anfrage von ganz rechts "betreffend
revolutionszentrum in basel" loest gelaechter aus, die nationalraete
sind keine dunkelmaenner. froehlich wird auch die anfrage "betreffend
den bierverkauf durch gletscherpiloten in den hochalpen" entegengenommen.

der nationalrat macht seine arbeit ruhig und ohne zu draengen. die
traktandenliste ist ueberfuellt, man muesste verzweifeln. der rat
verzweifelt nicht, er hat zeit, er erledigt schritt fuer schritt seinen
kleinkram. niemand draengt. die arbeitsweise ist bestimmt, die maschine
laeuft, der kreis bleibt rund.

durch das glasdach des saales faellt das sonnenlicht. wenn eine wolke
vorbeizieht, wird es dunkler. einige raete schauen auf. der redner
spricht. auch wenn ihm niemand zuhoeren sollte, hat er es doch gesagt,
seine meinung wird offiziell, wird im protokoll vermerkt, formt sich mit
den meinungen, die der seinen aehnlich sind, zu einem ganzen. es sind
nicht gleichgesinne, die hier sitzen – gleichgesinnte haben mehr
emotionen, in einer versammlung eines interessenverbandes geht es
heftiger zu –, es sind aehnlichgesinnte. deshalb bilden sie eine amorphe
masse, weil kleine unterschiede mer verbinden als keine –, und sollte
sich jemand zu sehr unterscheiden, die masse ist freundlich genug, ihn
zu verdauen.

es dringt nicht viel welt in diesen saal. der mord an kennedy wird hier
nicht offiziell. vor den tueren wird davon gesprochen, und die
zurueckkehrenden tragen es fluesternd in den saal. nach der sitzung
draengen sich einige raete um einen transistor-radio. unruhen in paris
und berlin machen hier keine unruhe (immerhin entschluepft einem
nationalrat die formulierung "dieser herr dutschke", einem nationalrat
uebrigens, der weiss, dass es die formulierung "dieser herr benesch"
gab). eine vietnaminterpellation, vor wochen in schlagzeilen
angekuendigt – publikums- und pressetribuene gefuellt – verlaeuft wie ein
anderes geschaeft.

der bundesrat gibt auskunft, der interpellant erklaert sich befriedigt,
und der rat lehnt eine beantragte diskussion ab, vielleicht zu recht.

aus: sitzen als pflicht
in: des schweizers schweiz © 1969
von: peter bichsel

und fast
unrelated
ein bildli

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Wednesday, June 03, 2020

ana.words, sitzen als pflicht (teil 2)

ich habe in der schule gelernt, dass im parlament kompromisse zustande
kommen. das ist nicht wahr. hier werden keine kompromisse geschlossen,
hier wird alles bereits als kompromiss vorgetragen, und die spannung
nimmt leicht zu, wenn aus zwei kompromissen ein dritter geformt wird.
hier, in diesem haus, in dieser sitzung, findet die demokratie nicht
statt, hier wird sie repraesentiert. hier werden die ergebnisse der
kommissionen zusammengetragen; das ist die vierteljaehrliche
schlusssitzung eines grossen kongresses. was hier vorgetragen wird, ist
bereits geschehen, ist bereits bekannt. in einer parlamentarischen
demokratie (vielleicht heisst sie deshalb so) findet die demokratie im
parlament statt, deshalb wohl ist bonn so viel telegener. hier in der
direkten demokratie wird im parlament nur noch das letzte zeremoniell
vollzogen. hier sitzt man nur noch, und das sitzen wird zur pflicht, ist
eine praesenzleistung, die die zeremonie der demokratie garantiert: die
diskussion gehoert nicht zum zeremoniell.

hier sitzen die leute, die fuer unseren staat in gemeindekommissionen,
in parteisitzungen, in gemeinderaeten und kantonsraeten unbezahlte und
schlechtbezahlte arbeit geleiset haben; waeren sie bezahlt woden, sie
haetten millionen gekostet. hier sitzen auch die ehrgeizigen, die ein
ehrenamt noch als ehre auffassen. sie stammen aus einer zeit, die es
vielleicht bereits nicht mehr gibt, aber sie beeindrucken.

sie vertreten interessen, sie vertreten verbaende. der gewerbeverband
spielt hier seine macht aus, die ihm der staat einst gegeben hat. weil
er sie ihm gegeben hat, muss er sie ihm erhalten. das parlament befindet
sich in einem kreis; was es bereits gibt, ist unantastbar. es kann den
kreis nicht sprengen, nur erweitern. neue erkenntnisse sind hier nur
wahr, wenn sie die alten kenntnisse decken und ergaenzen.

in diesem parlament wird keine revolution stattfinden, nicht einmal eine
stille, friedliche, denn in diesem parlament finden nur dinge statt, die
es bereits gibt. damit haben wir uns abzufinden. es gibt hier keine
opposition. das waere gar nicht der ort fuer sie. denn hier geht es um
das erhalten, auch um das erhalten von erhaltenswerten dingen. hier
sitzen die gralshueter der demokraie. der ruf nach einer
parlamentarischen opposition wird vor dem ritual des parlaments
laecherlich. die beauptung irgendeiner gruppe, sie sei die opposition,
ist reine werbung und hat nur ausserhalb dieses hauses ihre wirkung.


aus: sitzen als pflicht
in: des schweizers schweiz
© 1969
von: peter bichsel


und 51 jahre spaeter im schweizerischen parlament:
ehe fuer alle.
haette sein sollen.
wurde verschoben.

und fast
unrelated
ein bildli
aus twitter


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Tuesday, June 02, 2020

ana.words, sitzen als pflicht (teil 1)

dienstag nach pfingsten, abends sechs uhr: die parlamentarier versammeln
sich zur sommersession. sie kommmen einzeln und in kleinen gruppen an,
sie fahren nicht vor, ihre wagen haben sie selbst parkiert. erst kurz
vor dem tor des hauses sind sie als raete identifizierbar. sie
begruessen sich, sie laecheln sich zu. der untersetzte mit dem runden
kopf hat auch meine stimme erhalten; ich sehe ihn zum erstenmal. er
entspricht der photo auf dem wahlprospekt. er ist sozialist. er lacht,
der radikale neben ihm scheint ein politisches scherzchen gemacht zu
haben.

ein bundesrat kommt aus dem tor, er hebt die hand gruessend, er
laechelt, spricht zwei, drei worte im vorbeigehen. die raete freuen
sich, sich wieder zu sehen. sie begruessen sich beim eingang wie
mitglieder eines jahrgaengervereins, wie alte schulkameraden (und wenn
ein schulkamerad ein feind ist, er ist doch ein schulkamerad).

kurz nach sechs betrete ich das gebaeude, mit ehrfurcht, mit etwas
herzklopfen. massig in stein hoch oben die drei eidgenossen. die
schatten ihrer kopefe fallen auf der himbeerroten wand dahinter
zufaellig in drei leere, dekorative bilderrahmen - pop-art im bundeshaus.

der nationalratssaal fuellt sich langsam, bis zum beginn der
verhandlungen ist rauchen gestattet. einzelne haben sich gesetzt,
breiten ihre papiere vor sich aus, andere stehen in gruppen herum. die
geschaeftsordnung wuenscht, dass die raete im dunklen anzug erscheinen.
schwarze anzuege sind selten, silberkrawatten sieht man fast keine, mit
einer ausnahme (die des bildenden kuenstlers) sind saemtliche hemden
weiss. die hellste krawatte traegt der populaerste unter den
neugewaehlten (ocker). die anzuege sind grau, sehr selten braun, und
eindeutig bevorzugt sind saemtliche nuancen von blau, schwarzblau,
pflaumenblau bis fast zum swissairblau, zum beispiel dezentes, helles
blau zu ocker.

ich habe gehoert, dass waehrend der sitzungen stets viele sitze leer
sind. ich beginne zu zaehlen. einmal sind nur 80 raete anwesend. in der
regel sind 40 bis 70 sitze leer; sie werden bald wieder eingenommen,
damit andere die ihren verlassen koenen.

ich habe gehoert, dass zeitungen gelesen werden. ich habe mir viel mehr
zeitungen vorgestellt, ganze berge. an dem gemessen sind es wenige,
morgens etwas mehr als abends. die redner der kommisssionen sprechen zum
geschaeftsbericht. sie halten ansprachen, bringen die ansprachen hinter
sich. die miene des angestrengten zuhoerers haben in der regel zwanzig
bis dreissig raete aufgesetzt; auch darin loesen sie sich ab. vieles in
den reden bleibt formel, die raete springen nicht auf, wenn jemand etwas
neues sagt, sie verlassen sich darauf, dass worte und taten nicht
identisch sind. ein redner hebt seine stimme und sagt "atomzeitalter",
es ist bereits ein veralteter ausdruck, er loest nichts aus. er haette
vielleicht doch besser gesagt "in ein paar jahren".

in diesem rat werden formeln gebraucht, und redner und zuhoerer haben
sich an formeln gewoehnt. es gibt keinen applaus, es gibt kein zynisches
laecheln, und wenn es ein bisschen gelaechter gibt, dann lachen nicht
einzelne bloecke; hier lacht man gemeinsam.


aus: sitzen als pflicht
in: des schweizers schweiz
© 1969
von: peter bichsel


http://ana.ch/words/archive/?id=6702



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Monday, June 01, 2020

ana.words, not out of thin air

weil pfingsten ist
und junianfang
und eigentlich aus anderen gruenden
ein alter text
dem man leider seine 53 jahre
(ja, ueber ein halbes jahrhundert alt)
nicht so gut anmerkt:

" Let me say as I've always said, and I will always continue to say, that
riots are socially destructive and self-defeating. I'm still convinced
that nonviolence is the most potent weapon available to oppressed
people in their struggle for freedom and justice. I feel that violence
will only create more social problems than they will solve. That in a
real sense it is impracticable for the Negro to even think of mounting
a violent revolution in the United States. So I will continue to
condemn riots, and continue to say to my brothers and sisters that this
is not the way. And continue to affirm that there is another way.

But at the same time, it is as necessary for me to be as vigorous in
condemning the conditions which cause persons to feel that they must
engage in riotous activities as it is for me to condemn riots. I think
America must see that riots do not develop out of thin air. Certain
conditions continue to exist in our society which must be condemned as
vigorously as we condemn riots. But in the final analysis, a riot is the
language of the unheard. And what is it that America has failed to hear?
It has failed to hear that the plight of the Negro poor has worsened
over the last few years. It has failed to hear that the promises of
freedom and justice have not been met. And it has failed to hear that
large segments of white society are more concerned about tranquility and
the status quo than about justice, equality, and humanity. And so in a
real sense our nation's summers of riots are caused by our nation's
winters of delay. And as long as America postpones justice, we stand in
the position of having these recurrences of violence and riots over and
over again. Social justice and progress are the absolute guarantors of
riot prevention."


dr. martin luther king
1967 in der rede "the other america"
im ganzen nachzulesen hier:
https://www.crmvet.org/docs/otheram.htm


http://ana.ch/words/archive/?id=6701



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I CAN'T BREATHE
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