liebe lesers,
das jahr neigt sich weiter dem ende zu
und langsam wird es zeit fuer eine
person des jahres.
und tbz sagt
erstens: gisèle pelicot.
auch ihr habt sicher dazu gelesen
so wie tbz einiges dazu gelesen hat
und tbz versteht, dass ihr
- von feministinnen schon laenger verwendetes -
"la honte doit changer de camp"
(die scham muss die seite wechseln)
mit ihrem gesicht
an haeuserwaende gesprueht wird.
("ich sprueh's auf jede wand
neue maenner braucht das land"
singt ina deter in tbz' kopf,
z.b. hier:
https://www.youtube.com/watch?v=fTK-hREyvuU )
es "tschuderet" tbz immer wieder
wenn sie daran denkt
was gisèle pelicot da getan hat,
was sie da schulterte.
mit ihrem NICHT "à huis clos".
und sie hat die bilder gesehen
wie die frauen in der schlange standen
und ihr applaudierten
und wie sie weinten.
ein paar gedanken dazu.
1. noch klarer kann man den unterschied wirklich nicht aufzeigen
zwischen
(auch strafrechtlich relevantem unterschied von)
"sie hat nicht nein gesagt"
und
"sie hat ja gesagt".
und
2. jungs,
wenn ihr wirklich dachtet,
das sei ein spiel
(und das nicht ein tipp von euren anwaelten war, das zu sagen;
sozusagen im zweifel fuer die angeklagten,
was in diesem fall hinfaellig ist,
da die angeklagten fuer schuldig befunden wurden):
merket euch, solche spiele macht man mit der betreffenden person selber ab.
nicht mit z.b. dem ehemann der person.
und die betreffende person koennte auch die augen aufschlagen und sagen:
ne sorry, doch nicht, codewort,
das war in der fantasie irgendwie besser,
und ihr selber koenntet auch abbrechen,
ne sorry, doch nicht, codewort,
das kommt mir nun vor,
als ob ich dich tatsaechlich vergewaltigen wuerde...
und dann koenntet ihr drueber reden, was grad bei euch abging dabei,
und das duerftet ihr dann spiel nennen. safe, sane, consensual.
ihr habt missbraucht und vergewaltigt. punkt. das muesst ihr nun halt selbst noch begreifen.
viele der verurteilten haben das nun noch nicht begriffen.
und tbz vermutet, gewisse werden es auch nicht begreifen.
aus einem artikel:
"Die Rechtssoziologin Irène Théry weist dazu auf den Begriff der
"Opportunitätsvergewaltigung" hin. Vergewaltigungen fänden häufig dann
statt, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergebe, sagte sie im Magazin "Le
Nouvel Obs". "Diese Opportunitätsvergewaltigung ist in einer noch immer
tief verankerten chauvinistischen Sichtweise begleitet von einem Gefühl
der Unschuld ("Ich habe nicht vergewaltigt") und der Straffreiheit ("Mir
wird nichts geschehen")."
(siehe z.b. auch vergewaltigungen in kriegen;
und das "er hat mich manipuliert"
hat sehr das gschmaeckle von
"ich habe nur befehle befolgt".)
3. tbz hat manches nicht verstanden.
z.b. wie mehrere artikel betonten,
sie sei kein opfer (mehr).
und tbz denkt, das ist grundfalsch.
gisèle pelicot ist ein opfer, wurde
ueber jahre und jahre immer und immer wieder opfer.
es wurden ihr von taetern dinge angetan,
die tbz glaub nicht wiederholen muss.
das darf nicht weggeredet oder relativiert werden.
tbz denkt, was wir aendern muessen,
ist doch genau das:
wie wir opfer sehen.
ein "opfer" ist nicht ein schimpfwort
(du huere opfer).
ein opfer muss nicht den kopf senken,
ein opfer muss sich nicht voller scham verstecken,
ein opfer muss sich einfach grundsaetzlich nicht
auf eine gewisse art und weise verhalten,
die ihr erwartet.
ein opfer ist nicht schuld(ig),
ein opfer wurde opfer.
ein opfer braucht nicht euer mitleid,
sondern eure unterstuetzung.
ob zitternd in ner ecke kauernd
oder in die menge laechelnd.
ein opfer muss nicht eine
ihm zugedachte "opferrolle" einnehmen,
die fuer euch angenehm ist.
zu sagen, gisèle pelicot sei kein opfer,
wiederholt doch nur,
wie man sich "im normalfall"
ein opfer vorstellt, das sich beschaemt verkriecht,
und das "la honte doit changer de camp"
- vom opfer hin zum taeter -
wurde nicht verstanden.
("victim blaming" waere noch ein stichwort)
4. was tbz auch absolut nicht verstanden hat
ist das entsetzen von vielen
- sei es auf social media,
sei es in artikeln -
ueber die "normalen maenner",
die das waren,
diverse alter, gesellschaftsschichten, berufe.
tbz hat das absolut nicht verstanden.
wo ist da das neue oder entsetzliche daran?
wussten wir nicht schon alle laengst,
dass die vergewaltigungen (und andere gewalttaten)
meist nicht passieren,
indem jemand von einem unbekannten
auf der strasse ueberfallen
und hinter ein gebuesch gezerrt wird,
sondern im familien-/bekannten-/freundeskreis?
und sind das nicht "normale maenner",
die freunde und bekannten und familienmitglieder?
wussten wir nicht schon
von den grausamsten nazis, die liebende familienvaeter waren?
oder ihre tierli so gerne hatten?
lasen wir nicht schon bei x taten (amoklauf, toetungen, irgendwas) irgendwo,
es sei ein ganz normaler netter nachbar gewesen,
total unauffaellig, freundlich?
wussten wir nicht schon, dass meist nicht
ein unbekannter mann die kinder mit suessigkeiten ins auto lockt,
sondern es der papa, der liebe onkel, der sportlehrer ist?
wussten wir nicht schon,
dass - schon anhand der zahl faelle -
eine daemonisierung (monster versus normaler mensch)
vielleicht wenig sinn macht?
sondern vielleicht eher sowas wie
praeventionsarbeit, maennerarbeit, sensibilisierung,
passende gesetze, passende und genug hilfsangebote
und hellhoerigkeit
und feminismus?
hat hier einfach die schiere menge der maenner
dazu verleitet,
das zu vergessen?
oder hattet ihr das vorher wirklich
noch nicht begriffen?
5. wie penibel die taten aufgezeichnet wurden
und schoen penibel beschriftet
machte etwas an grausamkeit des falles aus.
gleichzeitig war es fuer diesen prozess das grosse glueck.
da habt ihr es, nicht nur schwarz auf weiss,
sondern in bild und ton.
und normalerweise ist das nicht der fall.
aussage gegen aussage,
im zweifel fuer den angeklagten.
oder es kommt eben erst gar nie zu einem prozess.
und bei drogen inklusive alk und medis erst recht nicht.
und es passierte dennoch. vergesst das nicht.
6. nebenschauplatz:
nicht alle taeter konnten identifiziert werden.
tbz hat sich gefragt, wie es denen geht.
fuehlen sie sich schuldig?
sind sie sich keiner schuld bewusst?
sind sie froh, hat man sie nicht identifizieren koennen?
werden sie es je jemandem sagen?
leben sie ihr leben weiter wie bis anhin?
7. zurueck zu gisèle pelicot.
sie hat den namen behalten,
den sie bei der hochzeit von ihrem (ex)mann annahm.
sie wolle, dass ihre enkel den namen mit stolz tragen,
weil es der name ihrer grossmutter sei, sagte sie.
und sie wird damit recht behalten.
der prozess sei eine tortur gewesen,
sagte sie aber auch am schluss.
und sie wisse nicht, ob sie jemals verstehen werde, was ihr passiert
sei, was sie erlitten habe, sagte sie mal beim prozess,
und dass sie eine total zerstörte frau sei.
"sie erschien seit september jeden tag zur gerichtsverhandlung, ausser
montags, wenn sie ihre psychotherapeutin aufsuchte", las tbz.
und tbz tschuderet es nochmals,
und sie wuenscht gisèle pelicot
- und ihren kindern, die weinten und schrien -
alle heilung/recovery, die moeglich ist,
und dankt ihr von herzen, im namen von vielen.
eine zweite person des jahres morgen.
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a n a . w o r d s
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